Mit Weimar bringen Skellig Games und Spielworxx in Kooperation einen Politik-Kracher von Matthias Cramer auf den Markt und buhlen um einen Platz in eurem Spieleregal. Mit Doublelayer-Board und viel bedrucktem Holzmaterial möchte das Spiel sein historisches Thema in Szene setzen. Doch es gibt einen Haken: Mit Ausnahme des Solo-Modus ist das Spiel nur mit genau 4 Spielern spielbar. Ob das gut geht?
Die Quadratur des Gleichgewichts des Schreckens
Starten wir erstmal ganz sacht: Thematisch spielen wir die Entwicklung der Weimarer Republik nach. Das Spiel gliedert diese Zeit von 1918-1932 in 3 Phasen mit je 2 Runden. Die Spieler übernehmen dabei die Führung je einer Partei. Zur Auswahl stehen die SPD, die KPD, die Zentrumspartei und die DNVP.

Mechanisch gesehen spielen wir dabei ein Spiel, das quasi die Evolution der Evolution von Twilight Struggle / Gleichgewicht des Schreckens ist. Gesteuert über Handkarten, sowohl allgemeiner Republikkarten als auch eigener Parteikarten, beeinflussen wir politische Debatten oder unsere Aktivitäten in einer von 11 Städten. Alternativ dazu können wir auch die Effekte der einzelnen Karten spielen. Alles soweit bekannt vom Urvater der kartengetriebenen Konfliktspiele.
Allerdings kommt hier noch der Mechanismus der Aktionen mit hinzu – einer Ebene, die im Vergleich gänzlich neu ist. Und eine ganz neue Stufe an Interaktion ermöglicht: Zwar sind die Grundaktionen identisch bei allen Parteien. Es gibt aber auch Ausnahmen. Diese finden sich entweder in den Details, oder aber in der direkten Reaktion auf bestimmte Vorkommnisse auf dem Spielplan. So bekommt jede Partei eigene Ziele, Möglichkeiten und Einheiten spendiert. Dadurch erkennt man schnell, dass das Spiel nicht funktionieren würde, wenn nicht in Vollbesetzung gespielt werden würde.

Zugleich zwingt einem das Spiel dadurch auch einen Weg auf, der natürlich dem realistischen Verlauf nachempfunden ist: Die SPD und die Zentrumspartei haben zum Beispiel nur die Möglichkeit eines „Gegenputsches“ als Standard-Aktion. Eine Aktion, die nur dann möglich ist, wenn sie sich in der Regierung befinden. In umgekehrter Art und Weise gilt das für die DNVP und die KPD für die Standard-Aktion „Putsch“. Schafft man es also nicht nach dem realistischen Vorbild zu spielen, schrumpfen die Möglichkeiten und damit der eigene Einfluss.
Alternativ zu diesen Aktionen kann ich Aktionspunkte auch als maximal 2 „Reservepunkte“ aufsparen. Diese Punkte verfallen erst, wenn ich sie einsetze. Das ist nicht nur praktisch, sondern durch eine kleine Detailregel auch politisch unglaublich mächtig: Die parteispezifischen Reaktions-Aktionen kann ich einzig mit Aktionspunkten aus meiner Reserve bezahlen und aktivieren. Da die Anzahl der verfügbaren Reservepunkte stets offenkundig ist, können alle Mitspielenden auch einschätzen, wie Reaktionsfreudig ich gerade vermag zu spielen. Das kommt teilweise schon einer militärischen Abschreckung gleich und erlaubt mir auch mein Timing für bestimmte Aktionen besser zu bestimmen. Etwas Verständnis für diese Mechanik vorausgesetzt ist das hochspannend!
Wie eine Fackel im dunklen Wald
Ein historisches Thema setzt meist auch genaue Kenntnisse voraus, um Spannung und Motive herauszuarbeiten. Ich muss zugeben, dass mein historisches Wissen der Zeit vor 1932 gerne etwas Auffrischung vertragen hat. Ich sage es vorab: Weimar macht sehr vieles richtig! Beginnen wir bei der Anleitung. Die ist sauber strukturiert und gesetzt, klar geschrieben, sehr sehr übersichtlich und geht sparsam mit Bildern und Hinweisen um. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl hier nicht durchzublicken.
Das Spielfeld und das gesamte Material helfen dabei, das Spiel schnell zu lernen. Das Doublelayer-Spielbrett hilft ungemein, die (optionalen!) Spielhilfen auf den Spielertableaus sind klasse und die einheitliche Symbolik sowie hilfreiches Grafikdesign gestalten den Einstieg zu einem Kinderspiel – zumindest für so ein Schwergewicht. Pro Spieler gibt es eine ganze A4-Seite an Symbolen und Erklärungen – ich habe sie nicht ein einziges Mal benötigt.


Was sich hingegen einschleifen muss, ist das jeweilige Spielziel. Natürlich sind Spielende-Bedingungen klar kommuniziert und es ist auch verständlich, wie man Aktionen und Ereignisse ausspielt. Aber das „warum?“ war mir anfangs nicht immer klar. Geholfen hat dann letztendlich die Übersicht der Siegpunkt-Quellen am Rundenende, um einen groben Plan zu haben, was gut für meine jeweilige Partei ist und was eben nicht.
Darüber hinaus debattiert man mehrere Runden über Themen im Parlament und weiß: Je weiter ein Thema „bei mir“ ist, desto besser. Aber wozu mache ich das? Das erschließt sich dann auch erst am Ende der Runde. Zum einen erhalte ich durch gut platzierte Themen Einfluss im Parlament (und so mit Sitze). Aber all diese Debatten haben letztendlich auch einen Effekt, den ich abhandeln muss: ich werde Startspieler (noch vor dem Kanzler), kann Armut bekämpfen, für Sicherheit sorgen… oder das Gegenteil davon tun.


Zwischen zwei Welten
Was mir Weimar nicht leicht macht, ist die Einordnung: Der sehr hohe Anspruch steht einer hervorragenden redaktionellen Arbeit gegenüber. Weimar ist ein hoch komplexes Spiel, aber kein kompliziertes. Ich habe es als sehr angenehm empfunden nahezu niemals darüber nachdenken zu müssen wie etwas nochmal funktioniert. Die Frage war eher wozu ich etwas mache – was der beste Weg ist und wohin die Reise gehen soll.
Um diese Frage zu klären benötigt man wohl mindestens 1-3 Partien in derselben Gruppe, damit auch die Langzeit-Entwicklung der Republik über die 3 Phasen hinweg bekannt sind und die Decks der einzelnen Parteien eingeschätzt werden können. Von den je 2 optionalen Erweiterungsdecks mit je 5 Karten, die jede Partei innerhalb der Partie noch dazu gewinnen kann, ganz zu schweigen.

Und diese Hürde muss man dann doch überwinden wollen und vor allem können. Weimar macht einem den Einstieg so leicht wie irgend möglich, was jedoch nicht bedeutet, dass er auch zwingend leichtfällt. Vielmehr muss man das System des Spiels kennen lernen, um es effektiv und zielgerichtet zu spielen. Natürlich kommt man auch in der Erstpartie über die Runden, aber um strategisch statt nur taktisch planen zu können, um sinnvoll agieren statt nur auf seine Kartenhand reagieren zu können muss man einfach sehr viel Wissen aufbauen. Dass das Spiel (mit Ausnahme des Solo-Szenarios) nur zu viert spielbar ist und wohl mit denselben Spielenden mehrfach gespielt werden sollte, macht es nicht gerade einfacher, diese Hürde auch zu nehmen.
Fazit zu Weimar – Der Kampf um die Demokratie
Weimar hat mich nachhaltig beeindruckt. Nicht nur, aber vor allem im Vergleich mit anderen kartengetriebenen Konfliktspielen, die in ihrer Präsentation meist doch eher bieder und zweckdienlich daher kommen. Da ist Weimar anders: Dieses Spiel ist ausgesprochen gut produziert. Das fängt beim üppigen Spielmaterial an und hört beim zugänglichen Grafikdesign noch lang nicht auf. Als Kirsche gibt es dazu noch ein stabiles Papp-Insert, das seinen Namen auch verdient.
Einziger Wermutstropfen ist die benötigte Spieleranzahl von genau vier Spielern und die thematische Komplexität. Hier benötigt man entweder viel Erfahrung im Bereich solcher Spiele, oder aber etwas Sitzfleisch – dann kommt das Hintergrundwissen ganz von allein.
Weimar braucht sich hinter seinen Artgenossen auf keinen Fall zu verstecken, setzt mit dem Aktionsmechanismus sogar noch eine spannende Mechanik oben auf. Die hervorragende Anleitung könnte kaum besser sein und „genretypisch“ gibt es noch ein Begleitheft mit Szenarien, der thematischen Erklärung der Ereigniskarten sowie einer toll geschriebenen und bebilderten Beispielrunde.
Auch wenn ich befürchte keine Spielgruppe für dieses Werk zu haben, hat mich Weimar auf ganzer Linie beeindruckt. Nicht nur als spannendes Spiel, sondern vor allem auch als sehr rundes Gesamtprodukt. Ich ziehe meinen Hut!
Kein Spiel ist für Jedermann. Ob Weimar etwas für euch ist, entscheidet allein ihr.
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1. Thema
Die thematische Einbettung ist die Stärke dieser Spiele und auch hier fühlt sich alles hoch thematisch an. Das Beilagen-Material erklärt es auch noch bis ins Detail. Besser geht es nicht – Lehrauftrag erfüllt!

2. Material
Karten, Doublelayer-Spielbrett, bedruckte Holzteile in Hülle und Fülle, dazu noch ein gutes Insert? Dieses Spiel braucht sich hinter keiner EGG-Deluxe-Produktion zu verstecken.

3. Optik
Im Vergleich zu seinen Genrevertretern sehr ansprechend und hochwertig. Allerdings auch klassisch. Sepia ist hier vorherrschend. Was mir persönlich nie gut gefällt sind Fotos auf Spielmaterial. Auch wenn es sich hier um echte Fotos historischer Personen oder Ereignisse handelt, finde ich Zeichnungen einfach schöner. Die Gestaltung ist ansonsten zweckdienlich bis hochwertig.

4. Setup
Wie nicht anders zu erwarten ein Brocken. Hier kommt aber erschwerend hinzu, dass das ansonsten hervorragende Insert nur eine große Wanne für alle Holzteile bietet. Mit etwas 3D-Druck ist da sicherlich schnell Abhilfe geschaffen, aber nicht jeder hat so ein Gerät zuhause.

5. Spieleranzahl
Weimar ist nur mit genau 4 Spielern spielbar und das ist schwierig zu bewerten. Natürlich funktioniert es in dieser Spielerzahl sehr gut, jedoch muss man diese Gruppe auch erstmal formen und fördern, damit das Spiel seine Spannung auch vermitteln kann.

6. Zugänglichkeit
Die Anleitung macht den Job (fast) so gut wie möglich. Eine kleinere Hilfe zu Beginn was die parteispezifischen Ziele sind und worauf man bei Rundenende zu achten hat, hätte etwas Unklarheit während der Erstpartie verhindert. Dennoch macht vor allem das Material hier viel aus, beispielsweise die Vergrößerung des 0-Feldes bei den Debatten.

7. Spieltiefe
Die Spieltiefe ist natürlich überwältigend groß, jedoch kann ich nach meinen Gehversuchen noch nicht abschätzen, wie „gespielt“ man sich später fühlt. Genrevertreter wie Twilight Struggle / Gleichgewicht des Schreckens ziehen ihre Faszination auch aus der Frage, wann ich meinem Gegenüber ein Ereignis erlaube und welche Möglichkeiten er aufgrund des Spielfortschritts bereits/noch hat. Für meinen Teil fühlt sich das etwas „wie auf Schienen“ an. Das ist auch bei Weimar letztendlich der Fall, jedoch durch die 3 statt nur 1 Gegenspieler in kleinerem Maßstab. Die Aktionsmöglichkeiten setzen darüber hinaus noch eine Ebene auf, auch wenn ich hier – je nach Partei – wieder auf bestimmte Aktionen beschränkt bin.

8. Spieldauer
Die Spieldauer ist mit 360 Minuten angegeben. 6 Stunden für ein Spiel, das einen dauernd fordert. Ich persönlich mag lange Spiele, weil sie eine gewisse Entwicklung innerhalb einer Partie überhaupt erst möglich machen. Allerdings spielt dann wieder die benötigte Spieleranzahl nicht gerade in die Karten.

9. Downtime
Da sich die politische Landschaft und das Geschehen in den Städten stetig verändern, kommt hier keine Langeweile auf. Die Züge sind in der Regel zügig abgehandelt. Einzig die Reaktionen per Reserveaktion bzw. Ereigniskarte stoppen manchmal den Spielfluss – auch wenn sie spannend sind.

10. Preis
129,00 € UVP sind beileibe nicht wenig, aber man bekommt auch eine Menge dafür! Eine Menge Spiel, eine Menge Material und vor allem eine Menge redaktioneller Qualität. Wer mit dem Thema etwas anzufangen weiß und eine passende Spielgruppe hat, der wird sicherlich nicht enttäuscht sein.

Ergebnis
Mit 39/50 Punkten erreicht Weimar – Der Kampf um die Demokratie die Bewertung „Empfehlenswert“!
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