Aus Liebe zum Spiel

Perfektionismus in Eurogames

Wohl jeder kennt es, hat es mal selbst erlebt oder leidet sogar selbst darunter: AP, Grübelanfälle, Optimierungszwang, Downtime, kurz gesagt: Perfektionismus. Oft wird großes Potenzial in diesem Bereich einem Spiel als Schwäche zugeschrieben, es gibt etliche Beispiele. Und dieses Potenzial steigt meist mit der Komplexität.

Ich selbst bin eigentlich gar nicht anfällig dafür und kann dadurch auch sehr komplexe Euros relativ zügig spielen. Sicherlich nicht mit der maximalen Punktzahl, aber das ist mir auch nicht wichtig. Die Frage ist aber: Warum macht man sich das Leben so schwer? Warum versucht man hochkomplexe Spiele zu 100% durchzurechnen?

Auch das wird Spielen oft als Nachteil angelastet: „Ist komplett durchrechenbar“. Die Frage, die sich mir stellt ist: Warum sollte man das tun? Warum macht man sich aktiv den Spaß kaputt, nur weil es möglich ist?

Wichtig ist dabei wohl zu erwähnen, dass ich nicht das Gegenteil dessen propagieren möchte – wer gar nichts damit anfangen kann, der kann einen Bogen um komplexe Euros machen. Ich spreche eher davon schon ordentlich zu spielen, aber eben auch Raum für Fehler zu lassen und sie zu akzeptieren.

Ich durfte Mal ein sehr schönes Beispiel dazu erleben: Yamataï wird ja auch gern mal nachgesagt extrem viel Downtime zu produzieren. „Nie mit mehr als 2 Spielern“, hört man da des Öfteren. In unserer Partie haben wir uns an knackige Züge gehalten und keine Entscheidungen zurück genommen. Kurz gesagt: Wir haben zwar engagiert und auf Sieg gespielt, jedoch den Raum für Fehler zugelassen. Wir haben bewusst in Kauf genommen, dass das System so komplex ist, dass wir es nicht fehlerfrei oder maximal effizient spielen werden. Und es hat eine Menge Spaß gemacht!

Wie es bei jeder komplexen Aufgabe ist, wächst man mit dieser. Das ist bei Spielen nicht anders. Warum lässt man das so oft nicht zu? Den Anstoß zu dieser Frage brachte Inventions auf den Tisch, das ja SEHR großes Potenzial hat „zerdacht“ zu werden. Ist es wirklich der richtige Weg schon in der Erstpartie den Anspruch zu haben alle Aktionen und Verkettungen effizient zu nutzen, statt das Gelingen der Kettenaktionen auch ein Stück weit dem Lerneffekt zu überlassen? Denn wenn das berechnen dieser sich so schwierig anfühlt, dann haben wir vielleicht im „System Inventions“ einfach noch nicht genug Erfahrung gesammelt, damit es uns leichter fällt?

Nicht selten trifft man auf Spieletreffs auf Mitspielende, die etwas sagen wie „Wenn ich es schon spiele, dann will ich es zuvor zu 100% verstehen.“. Das ist in meinen Augen aus sportlicher und didaktischer Sicht nicht mit komplexen Spielen vereinbar. Ähnlich wie ein Dauerlauf oder eine Matheprüfung braucht so ein Regelwerk Zeit um verinnerlicht zu werden. Der Mensch muss lernen und das geht oft und nachhaltig sehr gut darüber herauszufinden, wie man es eben nicht macht. Das kann ebenfalls sehr viel Spaß machen.

Da frage ich mich, ob man in diesen Fällen mit den falschen Maßstäben an die Sache heran geht. Es bleibt die Frage, ob wir uns selbst nicht den Spielspaß und den Lerneffekt nehmen, wenn wir Systeme, die uns zumindest so weit überfordern, dass der Spielfluss darunter leidet, zu verbissen spielen wollen und den Drang nach Perfektion nicht abschalten? Ärgert man sich am Ende über das eigene Versagen nicht perfekt gespielt zu haben – oder freut man sich über gesteigerte Punktzahlen, wenn man „automatisch“ durch den in Wiederholung und Erfahrung eingebauten Lerneffekt besser wird?

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Der Wert der Wiederholung

  1. Roland

    Zu 100% zugestimmt.
    Einfach gut spielen, aber nicht durchrechnen.
    Fehler machen, beim nächsten Mal besser werden.
    Wichtig ist, dass man eine gute Zeit gehabt hat!

  2. Ich glaube das kommt drauf an was man am Spielen genießt. Ich liebe die geistige Herausforderung und das kann ich nur bedingt auskosten, wenn ich einfach so rein spiele, denn viele komplexe Euros brauchen von Anfang an eine gewisse Strategie. Deshalb rechne ich nicht alles durch, aber ich will verstanden haben was ich tue bevor ich es tue. Darin liegt für mich auch der Spaß, ein System möglichst schnell möglichst weit zu durchschauen und den Brainburn dabei. Es muss anspruchsvoll sein, damit es Spaß macht. Wenn ich es entspannt runter spielen kann ist es nicht komplex genug. Und damit gehört oft ein gewisses Maß an AP dazu bzw das ist auch wirklich dass, was ich dann genieße.

  3. Frank

    Leider ist die Antwort immer absolut subjektiv, da ganz einfach gesprochen jeder anders tickt und bei jedem andere Mechanismen bzw. individuelle Vorgehensweisen das Belohnungssystem triggern.
    Wieso so mancher Spieler 💯 % gibt und alle Eventualitäten durchkalkuliert? Weil er das Spiel auf Gedeih und Verderb gewinnen will! Das liegt imho in der Natur des Menschen da der “Sieg” in jeglicher Hinsicht evolutionär unser Überleben gesichert hat und sozusagen genetisch hinterlegt ist. Kann man sowas mit dem “Kampf ums Überleben” vergleichen? Sicherlich wirds dann irgendwann philosophisch!
    Jede Schachpartie wird in der Regel seit Jahrhunderten nicht einfach so drauflosgespielt sondern ernstnehmend durchkalkuliert … um zu gewinnen!
    Im Grunde spielt jeder so wie es Ihn am meisten beliebt … in der Gruppe beißt sich das dann halt!

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